Die September-Sitzung des Stadtrats hatte es in sich: Von hitzigen Debatten über Stadtentwicklung bis hin zu klaren Zeichen für Demokratie und Inklusion. Wir geben euch einen Überblick, was beschlossen, diskutiert oder auch abgelehnt wurde.
Gewerbegebiet Tornau – Wirtschaftswachstum vor Umweltschutz
Gleich zu Beginn der Sitzung gab es großen Diskussionsbedarf: 2019 hatte der Stadtrat das Gebiet bei Tornau aus guten Gründen von Gewerbeplänen ausgeschlossen. Nun soll dieser Beschluss wieder aufgehoben werden, um den Weg für eine neue „Potenzialanalyse“ freizumachen. Im Bürgerinformationssystem findet ihr die vollständige Beschlussvorlage.
Dabei ist die Faktenlage eindeutig: Fachgutachten, Klimakarten und die Stadtklimaanalyse zeigen, dass es sich um ein zentrales Kaltluftentstehungsgebiet für Halle handelt. Diese Flächen sind entscheidend für die Temperaturentwicklung der Stadt. Gerade an heißen Sommertagen sorgt die dort entstehende Frischluft dafür, dass Halle abkühlt und durchlüftet wird. Eine Bebauung würde dieses natürliche Klimasystem empfindlich stören – mit Folgen für die gesamte Stadt.
Hinzu kommt: Bürgerinnen und Bürger verlassen sich auf frühere Stadtratsbeschlüsse, aber auch auf Wahlkampfversprechen. Und klar ist: Die Anwohner wollen dort kein Gewerbegebiet. Die Bürgerinitiative Halles grüner Norden warnt seit Jahren vor den ökologischen Folgen einer Bebauung: Versiegelung hochwertiger Böden in einem Biodiversitäts-Hotspot, Verlust wichtiger Lebensräume und eine zusätzliche Belastung für das Stadtklima. All diese Argumente liegen längst auf dem Tisch – und wurden im aktuellen Beschlussvorschlag dennoch ignoriert.
Stadtrat Wolfgang Aldag machte deutlich: „Die Bürgerinnen und Bürger im halleschen Norden fühlen sich auch vor den Kopf gestoßen, weil gewisse Fakten, die nun mal da sind, aus der Diskussion immer wieder herausgelassen werden. Die umweltrelevanten und klimatischen Themen werden nicht gebührend berücksichtigt.“
Der Antrag wurde schließlich in die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Das bedeutet: Das Thema ist nicht vom Tisch, sondern geht jetzt in die Fachberatung. Dort werden wir sehr genau darauf achten, dass die klimatischen und ökologischen Fakten nicht unter den Teppich gekehrt werden.
Planwerk Urbane Innenstadt Süd-Ost – Bei neuer Wohnbebauung auf Fakten hören
Mit dem Planwerk Urbane Innenstadt Süd-Ost (Link zur Beschlussvorlage) hat der Stadtrat einen umfangreichen Rahmenplan beschlossen, der festlegen soll, wie sich die Flächen rund um Riebeckplatz, Hauptbahnhof, RAW und Thüringer Bahnhof in den kommenden Jahren entwickeln. Ziel des Planwerks ist es, ein gemeinsames Leitbild für die künftige Stadtentwicklung in diesem Bereich zu schaffen. Dabei geht es nicht nur um neue Wohnungen, sondern auch um Gewerbe, Kultur, Freiräume und Klimaanpassung.
Auf dem Papier klingt das vielversprechend: Dach- und Fassadenbegrünungen, neue Bäume, besser vernetzte Grünflächen, Regenwassermanagement und Spielplätze sollen entstehen. Auch öffentliche Durchwegungen, neue Plätze und eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Freizeit sind vorgesehen. Kurz gesagt: Ein ambitionierter Plan, der viele Themen miteinander verknüpfen will.
Doch so sehr wir diese Ziele grundsätzlich begrüßen – im Detail gibt es erhebliche Probleme. Der aktuelle Faktencheck Wohnen der Stadt Halle zeigt eindeutig: Ein zusätzlicher Wohnungsbedarf besteht derzeit nicht. Die Zahl der Wohnungsgesuche stagniert oder geht sogar zurück. Trotzdem werden im Planwerk neue Wohnflächen vorgesehen – und zwar in großem Umfang. Damit werden Ressourcen in ein Problem gesteckt, das so nicht existiert, während an anderer Stelle dringendere Fragen warten, etwa Sanierung oder die Ausstattung bestehender Quartiere.
Hinzu kommt: Das Planwerk greift Bebauungsplanverfahren vor. Eigentlich sollen solche Verfahren die Feinsteuerung übernehmen – mit Beteiligung der Bürger:innen, mit Abwägung aller Interessen. Stattdessen legt das Planwerk schon jetzt Festlegungen fest, die die kommenden B-Pläne unter Druck setzen. Das sehen wir skeptisch. Deshalb haben wir das Planwerk abgelehnt. Nicht, weil wir Stadtentwicklung blockieren wollen, sondern weil wir eine nachhaltige, ehrliche und zukunftsfähige Planung brauchen – und keine Papiere, die an den eigentlichen Bedarfen vorbeigehen. Am Ende der Debatte stimmte der Stadtrat dem Entwicklungskonzept mehrheitlich zu.
Inklusive Spielgeräte – Damit JEDES Kind spielen kann
Ein wirklich wichtiges Signal aus der Stadtratssitzung: Der Antrag auf inklusive Spielgeräte auf öffentlichen Spielplätzen hat eine Mehrheit gefunden. Damit beauftragt der Stadtrat die Verwaltung, die Spielplätze in Halle künftig Schritt für Schritt barrierefreier und inklusiver zu gestalten.
Konkret bedeutet das: In jedem Stadtteil soll mindestens ein Spielplatz mit inklusiven Spielgeräten ausgestattet werden. Darüber hinaus soll in jedem ISEK-Raum (also in den größeren Stadtentwicklungsgebieten) mindestens ein besonders umfassend inklusiv gestalteter Spielplatz entstehen. Bei der Auswahl der Standorte sollen der Kinder- und Jugendrat sowie der Behindertenbeirat aktiv beteiligt werden, damit die Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien von Anfang an berücksichtigt sind.
Warum ist das so wichtig? Kinder sind verschieden, jedes hat seine eigenen Stärken, Interessen und auch Einschränkungen. Doch eines verbindet sie alle: der Wunsch, gemeinsam zu spielen. Für Kinder mit Behinderung bedeutet ein „normaler“ Spielplatz oft Ausschluss – viele Geräte sind für sie nicht nutzbar, während andere Kinder dort spielen können. Inklusive Spielgeräte dagegen sind so gestaltet, dass alle Kinder gleichermaßen mitmachen können. Sie fördern Miteinander, Begegnung und gemeinsames Erleben, statt Unterschiede zu betonen.
Unser Ziel ist klar: Halle soll eine Stadt werden, in der jedes Kind wohnortnah einen Spielplatz findet, den es auch wirklich nutzen kann. Genau das fasst Melanie Ranft im Stadtrat in einfache Worte: „Es wäre doch schön, wenn wir auf jedem Spielplatz ein integratives Spielgerät haben und Kinder, denen das bisher nicht möglich ist, genauso Freude am Spielen haben.“
Besonders spannend ist auch der dritte Punkt des Beschlusses: Die Stadt soll prüfen, ob sie sich zusammen mit einem gemeinnützigen Partner bei der bundesweiten Aktion „Stück zum Glück“ bewerben kann. Diese Initiative, getragen von Aktion Mensch, REWE und Procter & Gamble, hat schon über 50 inklusive Spielplätze in Deutschland ermöglicht – zum Beispiel in Leipzig, Chemnitz oder sogar in Arendsee als einziger Ort in Sachsen-Anhalt. Eine erfolgreiche Bewerbung würde Halle die Chance geben, einen besonders großen und vorbildlichen inklusiven Spielplatz zu schaffen, der über die Stadtgrenzen hinausstrahlt. Wir freuen uns daher über die Zustimmung zum Antrag.
Wettbewerb für Vorgärten und Balkone – gute Idee, leider ohne Mehrheit
Manchmal sind es die kleinen Ideen, die eine große Wirkung entfalten können. Genau das war unser Gedanke hinter dem Antrag für einen städtischen Vorgarten- und Balkonwettbewerb. Die Idee: Jedes Jahr sollen die schönsten naturnahen Vorgärten und liebevoll gestalteten Balkone ausgezeichnet werden. Warum? Weil diese Flächen mitten in der Stadt wichtige Rückzugsräume für Pflanzen und Tiere sind – und weil sie dazu beitragen können, das Mikroklima zu verbessern. Je vielfältiger ein Garten oder Balkon gestaltet ist, desto stärker trägt er zum Schutz der Artenvielfalt bei.
Der Wettbewerb sollte genau dieses Engagement sichtbar machen und belohnen. Gedacht waren verschiedene Kategorien, damit auch kleine Balkone oder Gemeinschaftsprojekte ihre Chance haben. Neben Urkunden und Anerkennung durch die Stadt wären auch kleine Sachpreise oder Gutscheine denkbar gewesen – finanziert über Sponsoring, nicht über den ohnehin knappen Stadthaushalt. So hätten wir gleich doppelt gewonnen: mehr Grün in der Stadt und mehr Anerkennung für diejenigen, die mit Herzblut dabei sind.
Prof. Dr. Claudia Dalbert brachte es im Stadtrat auf den Punkt: „Es geht darum, den Stolz der Menschen in der Stadt zu stärken. Wer seinen Balkon oder Vorgarten naturnah gestaltet, soll auch spüren, dass das gesehen und geschätzt wird.“ Auch die Verwaltung und sogar der Oberbürgermeister standen hinter der Idee und begrüßten den Vorschlag ausdrücklich.
Doch am Ende fehlte die Mehrheit im Stadtrat. Schade – aber wir sind überzeugt: Das Thema bleibt aktuell. Denn jede begrünte Fläche zählt – sei sie noch so klein. Vielleicht braucht es nur ein bisschen mehr Zeit, bis auch andere erkennen, wie wertvoll solche niedrigschwelligen Maßnahmen sein können.
Laternenfest ab 2026 – Debatte über Finanzierung
Das Laternenfest ist seit Jahrzehnten eines der beliebtesten Stadtfeste in Halle – ein Wochenende, an dem Zehntausende Menschen an die Saale strömen, um Kultur, Musik und Gemeinschaft zu genießen. Es ist Identität und Tradition zugleich, ein Aushängeschild für die Stadt. Doch so schön das Fest ist: Es ist mittlerweile auch ein teures Vergnügen.
Schon beim Haushalt 2025 hatte sich gezeigt, dass die Kosten deutlich gestiegen sind. Während die Stadtverwaltung ursprünglich mit rund 828.000 Euro an Sachaufwendungen gerechnet hatte, musste der Ansatz nach den Erfahrungen von 2024 und den Planungen für 2025 auf rund 1,24 Millionen Euro korrigiert werden. Kostenfaktoren sind vor allem Bühnen- und Veranstaltungstechnik, Sicherheit, Infrastruktur sowie das Programm selbst. Angesichts der angespannten Haushaltslage der Stadt ist klar: So einfach weitermachen wie bisher geht nicht.
Genau deshalb hatten wir einen Antrag eingebracht: Die Stadtverwaltung sollte eine Vorlage mit unterschiedlichen Varianten für die Ausgestaltung des Laternenfestes ab 2026 erarbeiten. Darin sollten konkret verschiedene Szenarien aufgezeigt werden – zum Beispiel: eine Verkleinerung des Festgeländes, eine Reduzierung des Programms, etwa weniger große Bühnen, oder Sparmaßnahmen bei Infrastruktur und Betriebskosten.
Die Idee war nicht, das Laternenfest kleinzureden oder abzuschaffen – im Gegenteil. Es ging darum, Planungssicherheit zu schaffen und schon im Herbst 2025 entscheiden zu können, in welchem Rahmen das Fest ab 2026 stattfinden soll. Denn eines ist klar: Die Stadt kann es sich nicht leisten, jedes Jahr aufs Neue überrascht zu werden, wenn die Kosten wieder höher ausfallen als gedacht.
Dr. Mario Lochmann brachte es im Stadtrat so auf den Punkt: „Das Laternenfest ist uns allen lieb und teuer. DIe Frage ist: Wie teuer kann es sein, damit wir es auch dauerhaft erhalten können. […] Das ist unser Anliegen, das Laternenfest dauerhaft zu sichern, nicht nur im nächsten Jahr, sondern für immer. In diese Richtung zielt unser Antrag: Wo kann man sparen, ohne an den Inhalten zu sparen?”
Leider fand der Antrag keine Mehrheit. Der Stadtrat hat damit eine Chance verpasst, frühzeitig Klarheit über die Zukunft des Laternenfestes zu schaffen. Das bedeutet: Die Kostenfrage bleibt weiter offen – und die Unsicherheit wächst.
Resolution zum WIR-Festival – kein Kulturkampf, sondern Einsatz für Demokratie und Vielfalt
Die Resolution zum WIR-Festival war einer der umstrittensten Punkte der Sitzung – und die Entscheidung fiel erst nach einer langen und hitzigen Debatte aus. Inhaltlich bekennt sich der Stadtrat damit zum WIR-Festival, das aus der Mitte der Zivilgesellschaft entstanden ist, und unterstützt seine vielfältigen Aktionen als sichtbares Zeichen für Demokratie, Offenheit und Mitmenschlichkeit. Zugleich ruft die Resolution die Hallenserinnen und Hallenser auf, sich aktiv einzubringen, und fordert die Verwaltung auf, das Festival im Rahmen ihrer Möglichkeiten ideell und finanziell zu fördern. Ebenso lehnt der Stadtrat die geplante rechte Buchmesse „Seitenwechsel“ und ihre bewusste Terminierung am 9. November als Provokation ab.
Die Debatte dazu war alles andere als nüchtern. CDU-Stadtrat Christoph Bergner sprach von einem „Kulturkampf im Stadtrat“ und warf den demokratischen Fraktionen vor, die Diskursbreite zu verengen. Die AfD ging noch weiter und bekannte sich offen dazu, rechte Meinungen und Buchmessen verteidigen zu wollen. Unsere Fraktionsvorsitzende Melanie Ranft stellte klar, dass hier Begriffe der Neuen Rechten bewusst verdreht würden: „‚Kulturkampf‘ soll die Gesellschaft in ‚wir‘ und ‚die anderen‘ spalten, um Angst zu schüren. Dagegen setzen wir eine Kultur des Respekts, des Dialogs und der demokratischen Vielfalt.“
Im Kern versuchten CDU und AfD, die Debatte über Meinungsfreiheit zu führen. Dabei wurde übersehen, dass dieses Grundrecht zwar selbstverständlich gilt, aber nicht grenzenlos. Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes nennt klare Schranken – dort, wo die Rechte anderer verletzt oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedroht wird. Genau das ist bei Teilen der Aussteller:innen der „Seitenwechsel“-Messe der Fall: Verlage und Autoren, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, deren Inhalte offen geschichtsrevisionistisch und völkisch sind. „Wir wollen niemandes Freiheit einschränken“, so Melanie Ranft weiter, „im Gegenteil: Wir verteidigen die Freiheit aller, in einer offenen Stadtgesellschaft ohne Angst und Ausgrenzung zu leben. Wer hier den Kulturkampf ausruft, sind nicht wir Antragsteller:innen – sondern diejenigen, die demokratiefeindliche Ideologien salonfähig machen wollen.“
Am Ende war das Ergebnis ein wichtiges Signal: Halle steht für Demokratie und Vielfalt und gegen rechte Hetze.