Dem Schnee sei Dank

Die Zeit vor Weihnachten ist für viele mit Jahresendstress verbunden und oft gelingt es erst nach dem Heiligabend wirklich, in einer besinnlichen Stimmung anzukommen. In diesem Jahr haben die ungewöhnlich starken Schneefälle den Vorweihnachtsstress noch verstärkt. Es gelingt uns kaum innezuhalten und die besondere Stimmung der verschneiten Stadt mit gedämpfter Akustik und verringerten Geschwindigkeiten wahrzunehmen.

Eigentlich sollten wir angesichts des Wetters in uns gehen, Wertigkeiten neu abwägen und über das Mensch-Natur-Verhältnis nachdenken – nach dem Vorbild großer Literaten. So lässt z.B. Thomas Mann seine Hauptperson im „Zauberberg“ nicht zufällig in einem Schneesturm über das Leben und den Tod sinnieren. Er erkennt, dass der Mensch einerseits zwischen den Polen Tod und Leben sowie Krankheit und Gesundheit eingespannt ist, andererseits aber vielfach auch selbstbestimmt handeln kann. Was abstrakt klingt, wird plötzlich konkret bei der Entscheidung, ob man für einen vermeintlich so wichtigen Termin seine Gesundheit auf einer glatten Autobahn gefährden sollte.

Wir werden durch die Störungen des öffentlichen Verkehrs aber auch daran erinnert, wie sehr wir uns an das reibungslose Funktionieren im Alltag gewöhnt haben. An einem Tag nach München und zurück – noch Händel hätte dazu einige Wochen gebraucht. Nun wird uns bewusst, dass wir uns eben nur bedingt über die Natur erheben können.

Wenn wir uns darauf einlassen, durch den Schnee und seine dämpfende Wirkung auf unsere Winterseele zu hören, gelingt es vielleicht, wesentliche Dinge zu erkennen: Zeit und Aufmerksamkeit Familie und Freunden gegenüber vor allem anderen. Wer Kinder beim Herumtollen in einer Schneelandschaft beobachtet, wird auch an eigene Erlebnisse erinnert. Erfahrungen, die uns manchmal abhanden gekommen zu sein scheinen. Der Blick wird oft genug verstellt durch die alltäglichen Ärgernisse – in der Arbeit als Stadtrat ist es vor allem die städtische Haushaltsmisere. Aber: Wir haben die Freiheit und nehmen uns die Freiheit, dankbar zu sein und zu bemerken, was wirklich wichtig ist. Und gerade weil wir uns auch privat nicht jeden materiellen Wunsch erfüllen können, wissen wir „Freiheit wird nie geschenkt, immer nur gewonnen.“ (Heinrich Böll). Dank an den Schnee, dass er uns das wieder einmal bewusst gemacht hat.

Wir danken an dieser Stelle allen Menschen, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten und nach ihren Überzeugungen für die Stadt engagiert und eingesetzt haben.

Wir wünschen Ihnen ein besinnliches Fest und ein gesundes Neues Jahr!

Stel­lung­nahme im Amts­blatt der Stadt Halle vom 22.12.2010 (pdf-​​Format, ca. 1,8 MB)


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