Antrag zur Änderung des Gestaltungsbeschluss zum Ausbau des Böllberger Weg Nord, 2.BA (Künstlerhaus 188)

Beschlussvorschlag

  1. Der Beschluss des Stadtrates zur Beschlussvorlage  Ausbau Böllberger Weg Nord, 2. BA – Gestaltungsbeschluss (Vorlage: V/2012/11289) vom 27.11.2013 wird nach der Verweigerung der Abrissgenehmigung für das Künstlerhaus 188 hinsichtlich der Gestaltung des betreffenden Abschnitts Knoten Böllberger Weg/Torstraße bis Geseniusstraße (Bereiche A und B nördlicher Teil) aufgehoben.
  2. Die Stadtverwaltung wird beauftragt, für diese ca. 150 m Strecke eine neue Vorzugsvariante der Vorplanung zum Abschnitt Knoten Böllberger Weg/Torstraße bis Geseniusstraße (Bereiche A und B nördlicher Teil) zu erarbeiten und dem Stadtrat vorzulegen, die den Erhalt des denkmalgeschützten Gebäudes Böllberger Weg 188 und der weiteren Gebäude auf der West- oder Ostseite beinhaltet sowie gleichzeitig eine Förderung der Straßensanierung über das Stadtbahnprogramm ermöglicht. Geprüft werden soll dabei insbesondere der Verzicht auf einen gesonderten Gleiskörper in einer Fahrtrichtung in Verbindung mit einer Realisierung eines Vorrangs des Straßenbahnverkehrs in dieser Fahrtrichtung durch eine entsprechende Verkehrssteuerung sowie ein Kompromiss bei den Nebenanlagen durch kombinierte Rad- und Fußwege in Minimalausführung.
  3. Der Stadtrat fordert die Stadtverwaltung auf, gegenüber der mit der Projektdurchführung beauftragten HAVAG, gegebenenfalls im Rahmen einer Gesellschafterweisung, den Verzicht auf jegliche Klage gegen den Ablehnungsbescheid zum Abrissantrag zu erwirken. Eine eventuell bereits eingereichte Klage ist zurückzuziehen.

 

Begründung

Mit Datum vom 20. Mai 2014 hat das Landesverwaltungsamt aus Gründen des Denkmalschutzes den Antrag des von der Stadt beauftragten Vorhabenträgers HAVAG auf Abbruch der ehemaligen Weingärtenschule/dem heutigen Künstlerhaus 188 im Böllberger Weg im Rahmen des Stadtbahnprogramms abgelehnt. Der Denkmalschutzwert des Gebäudes steht also außer Frage.

Damit ist nach der intensiv diskutierten und mit knapper Mehrheit beschlossenen Abrissentscheidung im letzten Herbst eine neue Situation entstanden, mit der Stadtverwaltung, HAVAG und Stadtrat umgehen müssen. Ohne inhaltliche Reflektion der Entscheidungsgründe der Denkmalschutzbehörde steht die Option einer Klage gegen die Entscheidung innerhalb der Frist im Raum. Eine Stadtratsentscheidung auf Basis einer konkreten Entscheidungsvorlage gibt es dazu nicht – und kann es aufgrund der Divergenz zwischen laufender Frist und den Sitzungsterminen auch nicht mehr geben. Demnach ist stark davon auszugehen, dass die HAVAG diesen Schritt unternehmen und darin Unterstützung durch die Stadtverwaltung finden wird. Entsprechend würde sich der Stadtrat dann erst nachträglich mit einer solchen Klage befassen können. Mit dem Antrag soll aus Sicht unserer Fraktion die Möglichkeit zu einer Diskussion über Alternativen geschaffen werden.

Zum Argument der „Fördermittelunverträglichkeit“

Die Stadtverwaltung ist in ihrer Argumentation bereits von der Behauptung abgewichen, das die Förderbedingungen des Stadtbahnprogramms nach dem maßgeblichen Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) und dem detailregelnden Entflechtungsgesetz (EntflechtG) keinerlei Ausnahmen von der Forderung nach einer Bauausführung mit gesondertem Bahnkörper vorsehen würden. Aktueller Stand der Debatte im Stadtrat ist,

dass Ausnahmen sehr wohl möglich sind. Die Einschränkung dieser von der Stadtverwaltung zugestandenen Aussage ist vielmehr nur noch, dass man als fördermittelbeantragende Kommune die Ausnahmenbeantragung nicht überstrapazieren solle, weil irgendwann die Fördermittelgeber entscheiden könnten, dass es derer genug seien.

Die neue Frage ist also vielmehr nur noch, ob die Fördermittelgeber angesichts der neuen juristischen Situation eine weitere Ausnahme genehmigen werden, ohne dass damit die Hoffnungen der Stadt auf weitere Projektförderungen aus dem Stadtbahnprogramm gefährdet werden. Auf diese Frage kann es ohne substanzielle Verhandlungen keine Antwort geben – zumal wir aus dem Projektverlauf wissen, dass eine verbindliche Entscheidung erst gefällt werden wird, wenn die Stadt Halle gegebenenfalls eine neue Projektvariante beantragt.

Unsere Fraktion vermutet stark, dass man auch auf Seiten der Fördermittelgeber kaum mehr derartig strikt die alten Regularien dieses in den 1960er Jahren konzipierten Gesetzeswerkes einfordern wird, wie dies die Stadtverwaltung nahelegt. Größere Abrisse für Verkehrsprojekte passen nicht mehr in unsere Zeit – und dürften es nach der bundesweiten negativen Presseaufmerksamkeit noch weniger tun. Die Stadt Halle sollte in der Beantragung einer weiteren Ausnahme die Rolle des Landes als Akteur in der Ausführung der Rechts- und Finanzierungskette über GVFG und EntflechtG nicht unterschätzen.

Und der einschlägige Punkt 2.10 der Verwaltungsvorschriften zur Durchführung von § 3 Abs. 1 des Entflechtungsgesetzes (VV-EntflechtG/Verkehr) des Landes Sachsen-Anhalt lautet „nur“ (Hervorhebung durch uns):

„Straßenbahnen […] können gefördert werden, soweit sie dem ÖPNV dienen. Dabei ist Sorge zu tragen, dass der ÖPNV gegenüber dem Motorisierten Individualverkehr (MIV) bevorrechtigt ist. Dieses kann im Einzelfall  durch bauliche (besonderer Bahnkörper) oder auch durch verkehrslenkende Maßnahmen gewährleistet werden.“

Eine „Bevorrechtigung“, wie eben beispielsweise eine Pförtnerampel, reicht für die Förderung. Damit haben wir als Stadt für die Teilstrecke zwischen Torstraße und Geseniusstraße mehr Planungsspielräume als nur den bisher von der Verwaltung vorgelegten gesonderten Bahnkörper inklusive Denkmalabriss. Vor diesem Hintergrund ist die von uns im Beschlusstext vorgeschlagene Ausführungsvariante zu verstehen – zumal für die abbiegenden Straßenbahnen so oder so der stadteinwärts fahrende motorisierte Verkehr angehalten werden muss.

Als Stadt können wir zudem nun noch einmal mit dem expliziten Argument in die Verhandlungen gehen, dass sich nun aufgrund der Entscheidung einer Landesbehörde die Rahmenbedingungen entscheidend geändert haben – dies dürfte kaum ohne Einfluss auf unsere Verhandlungspartner Land und Bund bleiben.

 

Zu den Risiken eines Gerichtsverfahrens

Auch eine realistische Abwägung von Wahrscheinlichkeiten hinsichtlich des Antragsstellungsverfahrens spricht deutlich für die von unserer Fraktion vorgeschlagene Variante, anstelle des Versuchs, auf gerichtlichem Weg eine Abrissgenehmigung zu erwirken. Die Erfolgsaussichten sind offen. Denn erstens gibt es nach der starken Begründung des Landesverwaltungsamtes keinerlei Garantie, dass ein solcher Versuch überhaupt Erfolg haben wird. Und zweitens würde ein solches Verfahren, möglicherweise sogar über mehrere Instanzen hinweg geführt, wohl Jahre in Anspruch nehmen. Die Bauausführung am Böllberger Weg wird nach bekannter Planung bereits 2 Jahre in Anspruch nehmen und wird durch andere Projekte des Stadtbahnprogramms bedingt sowie umgekehrt auch auf diese Projekte Einfluss ausüben. Die Gefahr einer langjährigen Verzögerung und sich kumulierender Probleme sollte die Stadt nicht riskieren, da das Stadtbahnprogramm mit dem GVFG 2019 auslaufen wird. Um bis dahin möglichst viele Projekte umgesetzt zu haben, ist es viel effektiver, jetzt die im Beschlussvorschlag benannten Unterabschnitte A und B des 2. BA Böllberger Weg Nord umzuplanen und eine Ausnahmegenehmigung für die Förderung zu erwirken, als alle Hoffnung in den unsicheren Ausgang eines langwierigen Gerichtsverfahrens zu setzen.

Zum Argument der „Regelkonformität“

Als weitere zentrale Begründung für die bisherige Vorzugsvariante von Stadtverwaltung und HAVAG wurde wiederholt die „Regelkonformität“, also die Einhaltung von vermeintlich durch die Verkehrsbelegungszahlen zwingend notwendiger Querschnittsbreiten von Straßen und Nebenanlagen der vorgelegten Planung betont. Wir denken, dass diese Argumentation bisher zu wenig hinterfragt wurde. Denn eine kritische Sichtung der einschlägigen Gesetzes- und Regelwerke sowie aktueller Rechtsprechung legt vielmehr die Sichtweise nahe, dass es zu der Frage von Mindestbreiten nur wenige feste Vorgaben und viele Ermessensspielräume gibt. Und gerade bezüglich der Ausführung von Nebenanlagen (Fußwege, Radverkehrsanlagen) gab es in den letzten Jahren einen relevanten Wandel in Gesetzgebung, Verkehrsplanung und Rechtsprechung, der sich unserer Auffassung nach nicht genügend in den von der Stadtverwaltung vorgelegten Planungen wiederspiegelt. Insbesondere wenn man sich noch einmal vor Augen führt, dass wir von einer planerischen Ausnahme für eine Strecke von wenigen hundert Meter Länge sprechen.

Allein schon viele Beispiele aus der jüngeren Planungs- und Baugeschichte unserer Stadt belegen, dass die Ausgestaltung einer Straße, ihrer Nebenanlagen und die dafür jeweils veranschlagten Breiten immer Einzelfallentscheidungen nach einer komplexen Abwägung zwischen den baulichen Voraussetzungen und den Fahrzeugbelegungszahlen vor Ort sind und sich planungsrechtlich keinesfalls immer  zwingend aus (prognostizierten) Belegungszahlen ableiten lassen. Mit derartig mechanistischen Argumentationen sind zuletzt zahllose Kommunen im ganzen Bundesgebiet bei Klagen von Betroffenen gegen Bauvorhaben gescheitert. Gleichwohl argumentiert die Stadtverwaltung zentral mit „regelkonformen“ Mindestbreiten und beispielsweise zwingend benutzungspflichtigen Radwegen, obwohl diese konkrete Ausführungsvariante bundesweit auf dem Rückzug ist und inzwischen laut Gerichtsentscheiden besonderer Begründungssorgfalt bedarf. Das Instrument des kombinierten Geh- und Radweges sollte auf der kurzen Strecke entlang der Engstelle Künstlerhaus einen Ausweg aus diesem Dilemma darstellen.

Wie groß der Entscheidungsspielraum für Straßenbreiten aber wirklich ist, lässt sich kaum besser als aus der Gestaltungsbeschlussvorlage Böllberger Weg Nord, 2. BA, selbst ablesen, mit der der Abriss des Gebäudes begründet werden soll. Denn der gleiche Entwurf, laut dem die Stadtverwaltung für die meisten Streckenabschnitte Straßenmindestbreiten von 3,25 m für erforderlich hält, hat im Abschnitt Warneckstraße bis Vor dem Hamstertor (Seiten 7-8 der Begründung bzw. Anlage 4, Blatt 3) kein Problem damit, diese zu Gunsten der dortigen gesetzlich geschützten Baumallee auf 3 m zu verringern. Nun mag die Differenz zwischen einer Straßenbreite von 3,25 m zu 3 m auf den ersten Blick nicht sonderlich relevant erscheinen – aber das Argument von angeblich keinesfalls unterschreitbaren Mindestbreiten gerät mit diesen 25 Zentimetern gehörig ins Wanken.

Die Behauptung der geschwindigkeitsreduzierenden Wirkung jeder anderen Bauvariante der Straßenbahnschienen außer des Radius und der beabsichtigten Ausführung der ‚Vorzugsvariante‘ ist in den Worten des Landesverwaltungsamtes „nicht hinreichend begründet und nachvollziehbar belegt worden“. Insofern ist weiterhin anzunehmen, dass die Einmündung der Torstraße in den Böllberger Weg genügend Spielraum für andere Verläufe zweier Gleise zulässt, die die Straßenbahnen nicht ungebührlich abbremsen.

Wir hoffen, dass dieses Plädoyer neben den Ausführungen des Landesverwaltungsamtes noch einmal deutlich zeigt, dass für diese Teilstrecke von wenigen hundert Meter Länge zwischen Geseniusstraße und Torstraße ein verkehrsplanerischer Kompromiss ohne Abriss möglich ist.

Anlage

2014-05-03 NEUE Fassung Vorschlag

Vorlagennummer / Link zum Ratsinformationssystem: 

V/2014/12898
(dort sind auch Verwaltungsstandpunkte, Abstimmungsergebnisse und Beantwortungen zu finden)

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